Perchtenlauf

Winter in der wirklichen Winterkraft – dunkel und wild, uns Menschen so viel abverlangend an Reife und weisem Unterwegssein. Dahin geht meine Ausrichtung in diesem Winter mehr denn je und mit der Frage, wie ich sie in mir aufstehen lassen kann. Wie kann ich noch tiefer spüren, was wirklich damit gemeint ist?

Ein neues Perchtengesicht ruft. Im alten Herbst bin ich eingetaucht. Papier und Zweige, Geweihe in den Bäumen sehen, mich erinnern an Perchtengänge. Sammeln, Spurensuche. Wie sieht mein Perchtengesicht am alten Feuer aus? In jungen Jahren war es sehr alt. Wird es am alten Feuer jünger?

Die Winterkraft verkörpern, sie spüren, sie tanzen, sie werden. Das erscheint mir wichtig und heilsam. Die Percht, die wilde Jagd, das weibliche Verstehen von Winter im gesamten Zyklus, all das hat ein ganz eigenes Gesicht. Es ist vielgesichtig. So viele Frauen wir sind, so viele Facetten der alten Winterkraft zeigen sich.
Dieses Jahr ziehen wir wieder los.

Eine Geschichte vom Perchtengang ist in „verwurzelt fliegen“:

Wenn die Percht mit ihrer wilden Jagd durch die Raunächte zieht, atme ich den Geist der dunklen Göttinnen ein. In Winter- und Schneestürmen fegen die Nachtfrauen mit zottigem Haar ums Haus, im Gefolge mit Truden, Zauberinnen und Unholdinnen. Mein freies Frauenleben weiß ich von der Percht beschützt. Und am Perchtentag oder der «Perhtennaht» am 6. Januar feiere ich sie, weil sie auch meine Geburtspatin ist.

Es ist ein alter Segensbrauch für Haus und Feld, Berchtelmilch, Bier und feine weiße Speisen auf einen gedeckten Tisch zu stellen. Mit einem ihrer vielen Namen rufe ich sie und bitte sie, mich zu unterstützen, damit ich innere und äußere Hindernisse auf meinem Weg gut bewältige. Gerade in diesen Zeiten ist sie eine wichtige Begleiterin, denn sie erfreut sich am schlecht ausgeprägten Unterwerfungswillen. Wenn eine davon wenig hat, dann hilft sie dabei, dass es auch weiterhin so bleibt.

Jahrzehnte ist es her, dass wir beschlossen haben, uns das Perchten mit den Perchtenläufe wieder anzueignen und die dunkle Göttinnenkraft in weibliche Hände zu nehmen. In der Winterzeit machen wir unsere Masken, tragen die Fundstücke zusammen, sitzen am Feuer zum Nähen, Schmücken, zum Wissensaustausch. Wir tanzen uns Schritt für Schritt in die Perchtenkraft. Es entstehen Knochengürtel und Holundergeweihe mit Fuchsfellen, wilde Masken, Allerleirauhmäntel und Amulette. Bohnenrassel, Kochtopf, Sichelmesser, Besen, Kuhglocken und Schellen begleiten uns. Auf Hände und Gesichter malen wir Zeichen und hängen uns alte Felle mit intensivem Geruch um.

Vom Dorf aus gehen wir hoch zur Leiten, in die Dämmerung hinein, in die schneebedeckte Berggegend. Sechs Perchtenfrauen in ihrer Wildheit und Macht und gleichzeitig wie zarte Tierfrauen in der weiten weißen Landschaft. Weite Fellmäntel, Rupfen, Fetzen wehen im Wind – geheimnisvoll, magisch, alt. Wir summen und rasseln auf unserem Weg, dann wieder sind nur die schweren Schritte und ab und an unsere Glocken zu hören.

Lärmend kommen wir schließlich zum Hof, stampfen, poltern, klopfen laut gegen die Scheiben. Johlend und girrend, mit Kochtopflärm, Schellenbaum- und Ratschenklängen hüpfen wir wild im Haus herum, kehren mit dem Besen aus, was überfällig ist, klopfen auf alles, was uns in den Weg kommt. Wir klatschen, rasseln, scharren und lärmen. Es ist ein wildes Durcheinander. Wir locken die Unverschämtheit, das Freche, Unbeugsame, die Lust, das Ungebührliche. Wir drohen damit, mit dem Sichelmesser die Wäscheleine durchzuschneiden, wenn alles zu sauber und lupenrein ist. Räuchernd ziehen wir durchs Haus, von den Kindern respektvoll begleitet. Wir werden reich bewirtet, so wie es den Perchten gebührt. Dann erzählen wir davon, dass das In-die-dunkle-Kraft-gehen auch heißt, nicht ordentlich und gepflegt zu sein. Zerfetzte Unterhosen, fettige, seit Tage nicht gewaschene Haare, Körpergerüche, dreckige Fingernägel und schwarze Fußsohlen – es ist ein eindrücklicher Zustand, in dem wir uns als Perchten befinden. Nachdem wir unsere Kraft gegeben haben und gut verköstigt worden sind, ziehen wir weiter.

Der Weg ist hell erleuchtet von der Mondin, die die Schneekristalle glitzern lässt. Rasselnd gehen wir ins Tal. Dreimal sausen wir im tiefen Schnee um einen alten Baumkreis.
Wenn die Raunachtszeit zu Ende geht, werde ich den Geruch von Tier auf meiner Haut mitnehmen – in die Träume, in den Frühling, ins Jahr.