Analog

Immer wieder lande ich im digitalen Wahnsinn bei irgendeiner notwendigen Umstellung oder Beantragung. Dann reicht kein Hochschulstudium, keine digitale Kompetenz, nix. Dann spüre ich wirklich sowas wie Wahnsinn, Überkontrolle, absurde Valentinesken und komme mir vor wie in einem Kafka-Roman, so einer Art absurdem Alptraum.
Es muss das Recht geben, nicht digital unterwegs zu sein UND Teil der Gesellschaft. Ich will ohne Handy und Rechner und ohne Kreditkarten am Leben teilhaben können. Ich gehe für die analogen Wege, auch wenn sie nicht zeitgemäß scheinen und obwohl ich digital halbwegs gut unterwegs bin. Ich will die Wahl haben, immer. Es verknüpft sich für mich mit Freiheit, Einfachheit, es ist naheliegend und ich finde es normal.

Zum Analogen, Normalen und Naheliegenden habe ich vor Jahren schon mal was geschrieben:
Es ist eine Zeit, die Wachsamkeit braucht. Für eine gute Orientierung legen die Hexen ihre Medizinen zusammen. Da ist die Hexe der Hügel, die Dorfhexe, die Kräuterspezialistin und etliche andere. Sie wissen, es hilft das Naheliegende, das sie Umgebende. Analog muss es sein. Das Digitale nehmen sie nur in kleinen Häppchen zu sich, sie sind ja auf der Höhe ihrer Zeit. Nur nicht zu viel, weil es sie bei zu hoher Dosis den Ortssinn kosten würde. Sie haben einen Satz herausgefischt: „Offline ist das neue Bio.“ Das gefällt ihnen. Virtuelle Realitäten schwächen die Lesestärke und verwirren mehr denn je die Schichten der Geschichten. Und genau die ganzen Weltgeschehensgeschichten wollen sie scharf sehen, ergründen und auf den großen Lebenslandkarten, die sie mitgebracht haben verorten.

Die Sinne wollen dabei sein, alle. Tief einatmen, riechen, fehmen, die Hände in die Erde gewühlt, barfuß über´s Land gelaufen, in die Tiefe hineingelauscht, Echolotung, mit dem Wind getanzt. Da sind sie sich einig. Sie sprechen über Klänge. 

Die Steinhexe sagt: „Am liebsten hören meine Ohren gerade die Gedanken der Berge.“
„Meine die Windgeschichten“, sagt die Hexe der Hügel.
„Und ich höre die uralten Frühlingslieder der Vögel,“ so die Gemüsehexe.
Die, die am affinsten zum Digitalen ist, hört sich Mären in fremden Sprachen an und tanzt dazu.

Sie verweigern dem Digitalen den Dienst wo es nur geht. Sie wären keine Hexen, wenn sie nicht selbst entscheiden würden, was für sie stimmt und was nicht. Volle Verantwortung voraus. Wenn´s schief geht war niemand anderes schuld.   

Zurückgeworfen auf das Haus, das Land drumherum, holen sie eine Medizin aus dem, was da geboren wurde, was da alles gewebt wurde. Es ist nahe liegend und meist ganz einfach. Es ist gewirkt und nicht gekauft. Es ist die Lehmwand, die etwas krumm geformte Schale, das geflickte Kleid. Genäht, gestaltet, gepflanzt, handgewerkt. Das Hiesige ist das Beste, was zu haben ist. Je wärmender es ist, desto intensiver vermag es die Verbindungen in die Ferne zu gestalten.

Eine macht einen Hollersaft auf, eine andere die Marmelade ihrer Waldbeeren. Eine der Hexen ist komplett kochunlustig, sie kennt dafür sämtliche Dorfläden. Die Kräuter vom letzten Sommer und die Geschichten der nahen Menschen werden gehört und geteilt. Sie tauschen sich aus, lästern, lachen, sinnieren, gründeln, poltern, forschen, tasten sich vor.
„Gute Medizin braucht Essenz, Lebensessenz.“
„Sie ist gewöhnlicher als oftmals angenommen.“
„Sie ist recht normal.“ 
„Normal in diesen Zeiten?“
„Normal überhaupt.“
„Was ist überhaupt normal?“
„Viel Normales hatte bisher wenig mit der Lebensessenz zu tun. Lasst uns wieder normal werden.“
„Gemein, im alten Sinn, was uns gemeinsam ist. Gemeinschaftlich, gemeinsinnig, all das.“
„Aha, Allmende, was allen zusammen gehört, niemandem alleine, von allen nutzbar, so was.“
„Das sollte normal sein.“ 

Eine sehr informierte Hexe meint, sie hätte mal von den Partisaninnen der Normalität gelesen, die für die Befreiung von Aneignungen gehen. Es ist gewaltig, was sich da wer alles aneignet, wie die Künste, das Heilen, die Magie, Potenziale, Gemeingut, um es zu kommerzialisieren und auszubeuten oder zu unterdrücken. Das sei lebenstechnisch gesehen nicht normal.
Es hätte doch Sprengkraft, wenn sie sich dem Normalen, dem Stinknormalen zuwenden würden, dem Gewöhnlichen, Gemeinen. Weil es sie in die Essenz des Lebens hineinkatapultieren würde. Dorthin, wo das Leben ganz pur ist, tief verbunden mit dem Tod, ganz normal, mit all den Geschichten von Freude und Schmerz, von Sehnsucht und Schönheit, von Liebe und Verlust und Erneuerung und noch vielem. Nichts ist da groß und nichts ist klein. Es ist wie es ist. Unspektakulär ist es. Es zeigt die Vielfalt an Fäden im Lebensteppich.
Als Partisaninnen des Normalen wären sie ganz nah dran am Leben, an Lebendigkeit, sagt die unsichtbare Hexe, die im Supermarkt putzt. Man müsste das Normale befreien, meint eine und die Normen wieder zurechtrücken. So wie das hier läuft sei es alles andere als normal. „Eben, das ist doch nicht normal, dass die wichtigen Leute so wenig bekämen an Geld und Anerkennung, dass das Alter nicht gewertschätzt wird und in wirklicher Würde Teil von allem ist oder dass Bäume und Flüsse keinen Rechtsanspruch haben, dass Tiere Sachen seinen und und und …“ 

So geht es weiter und weiter und sie machen sich auf die Suche nach dem Normalen des Lebens und entdecken, dass es auf allen inneren Landkarten verzeichnet ist, wenn diese denn wirklich gelesen würden.