Anleitung zur Kultivierung des Unperfekten

Der unperfekte Medizinschrank ist fertig. Das Schluderkleid auch. Meine kluge Mutter hat mir sehr früh Anleitungen zur Kultivierung des Unperfekten gegeben, weil sie gemerkt hat, dass ich an bestimmten Punkten nicht weiterkomme Richtung Perfektionismus.



Es geht so: Nicht versuchen zu kaschieren, sondern es betonen – die Fehler, das Schiefe, Schräge, Ausgerutschte, Danebengemalte, Holprige. Es zeigen, vielleicht sogar überzeichnen. „Du schneidest immer schief,“ hat meine Mutter gesagt, „und es sieht auch verschnitten aus. Lass uns versuchen, es gleich richtig schräg zu schneiden, dann sieht es gewollt aus.“ Das hat mir gefallen. Den Strich weiterziehen, wenn ich rausgemalt habe. Ein kleines Loch betonen, umranden, farbig unterlegen.
Was mache ich mit all dem anderen Unperfekten? Im Körperlichen? Motorischen? Sonstigem? Ihm ein Lied geben oder es tanzen, reingehen, überbetonen, spüren, da sein lassen, anerkennen. Vielleicht eignet es sich für Tänze, eine Performance oder eine hinreißende Heilige-Clownin-Nummer. Es ist einen Test wert. Tanzend Frieden gemacht mit meiner Ungeschicktheit, meiner Langsamkeit, meinem schwächelnden Knie. Es darf auch Publikum geben, das bezeugt, nachempfindet, eine Erlaubnisperformance sieht und vielleicht Lust bekommt, das eigene Unperfekte einzuladen.
In orientalische Teppiche werden bewusst Fehler geknüpft und bei geschnitzten Skiern ist es ratsam, sie nicht ganz glatt zu schleifen, sondern ein Ästchen rausstehen zu lassen. Wenn man im Schnee verlorengeht, kann man durch die feine Spur gefunden und gerettet werden. Das zu Perfekte und Glatte kann uns das Leben kosten. Ich glaube, ich bin nicht in Lebensgefahr. Und doch gibt es noch viel dem Unperfekten gewidmete Geschichten zu tanzen und zu besingen.