Die Nähzeit ist eingeläutet

Die Nähzeit braucht, genau wie Buch- oder Medizinschrankmachen freies Feld, keine Termine, kein Telefon, viele Tage ohne irgendwas. In diesen Freiraum hinein entfaltet es sich. Nähzeit ist für mich eine sehr besondere, rituelle Zeit. Flicken gehört dazu, häkeln, sticken, knüpfen, spinnen, weben und nähen. Ich flicke die ganzen Teile, die sich seit dem Frühling im Korb sammeln. Etwas wieder zusammenfügen, erneuern, wieder brauchbar machen. Wilde Gewandexperimente gibt es auch.



Heute verwerte ich alte, zu klein gewordene Teile, die ich besonders mochte und mache aus mehreren ein neues Kleid. Flickenhaft und asymmetrisch wird es, weil ich von keinem Stoff genug habe. Also wieder ein Kunstteil. Vielleicht wird es das rituelle Staubsaugergewand oder eines, das ich gerne mit dem Redestab in Verbindung bringe. Im Laufe der Zeit wird es seine Qualität schon zeigen. Da ich nicht nach Schnitten nähen kann und auch keine Knopflöcher, verengt sich mein Repertoire etwas. Ich mache Freihandschnitte vor dem Spiegel und entwerfe Modelle, die mit Zierknöpfen auskommen. Dem Energetischen nimmt das nichts. Stoffe, die kein Umnähen erfordern, liebe ich besonders. Statt Innenfutter gibt es Innenbemalungen und Rocksaumgeschichten.



Ich fühle mich dem Clan der Nähenden zugehörig. Dazu gehören meine Großmütter, eine Tante, Coco Chanel, die Näherinnen in den Fabriken Asiens und die alte Türkin in Landsberg, die einen kleinen Schneiderladen hat. Alles Clanschwestern.
Ein Kleid in gelb und schwarz. Das Surren der Nähmaschine, dazusummen, kreuz und quer hin- und hernähen mit einem Unterfaden in unpassender Farbe, weil ich zu faul war, ihn auszutauschen. Die Linie nicht ganz gehalten, egal, ich habe Lust und Spaß, finde schön, was ich mache, kürze, stückle, male ein bisschen rein, bestücke es mit einer geheimen Innentasche, sehe mich tanzen mit dem Kleid.
Es darf alles ein bisschen anders sein, so wie mein Dirndl, das mir Katharina genäht hat. Aus einer alten rumänischen Tischdecke, Indienblumen und einem Vorhangstoff. Und doch ist es ein Dirndl.