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In manchen afrikanischen Kulturen gibt es eine besondere Geschichtenheilweise. Sie wäre sehr einfach auf fast jeden Teil dieser Erde übertragbar. Der Boden dieser Geschichtenheilweise ist das Wissen, dass sowohl das Zuhören, als auch das Erzählen einer Geschichte heilen kann. Auf diesem Boden wächst der Geschichtenbaum.
Er wird von einer alten Heilerin gehütet. Die Heilerin ist eine der Alten, eine Großmutter. Sie hütet den Baum. Das ist ihre Aufgabe. Obwohl die Leute sagen, sie gehen zur Geschichtenheilerin, so ist ihre Anwesenheit und ihr Bezeugen vergleichsweise zum Baum unerheblich.
Die geheimnisvolle Mensch-Baum-Symbiose macht es möglich, dass das Leiden in den Baum fliesst. Bäume können sich von dem ernähren, was uns Menschen schädlich und schwierig ist und andersrum. Der Geschichtenbaum leitet das, was er nicht verwertet von all den Geschichten weiter und vertraut es der Erde an. So können die Menschen, frei von ihrem Schmerz, gehen. Der Baum hat es angenommen.
Überall gibt es Bäume und diese uralte Verbindung zwischen Menschen und Bäumen ist eine mächtige Heilbeziehung. Jedes Dorf, jede Gemeinschaft könnte einen Geschichtenbaum mit einer Geschichtenheilerin haben.
Würde man all die Geschichten eines Geschichtenbaumes aufschreiben, es würde Bibliotheken füllen.
Der Geschichtenbaum wartet. Immer ist er bereit – für alle, für jede Geschichte. Geschichten ranken sich um ihn, manche jahrtausende alt. Hoch oben bei den ältesten Bäumen der Welt, in den Inyo-Bergen, wehen Geschichten aus fünftausend Jahren um den Geschichtenbaum. Am anderen Ende der Welt pulsieren unzählige Erinnerungen von Händen auf Affenbrotbäumen. Im Osten weben sich Wortfäden aus vielen Mündern ins Feld des Baumes. Birken singen Lieder, zusammengetragen aus all den Geschichten. Silberpappeln wispern, es ist der Klang uralter Zeuginnenschaft.