Als die bewegten Zeiten kein Ende nahmen, begannen die Menschen unruhig zu werden. Es gab Anzeichen dafür, dass es ein harter Winter werden würde und mit ihm kamen Ängste, Mutlosigkeit und Verzweiflung, denn es würde bald so weit sein, dass es viele nicht mehr bis ins Morgen schaffen.
In der Nähe lebten zwei Schamaninnen. Die Frauen des Dorfes beschlossen, die Schamanenschwestern aufzusuchen und um ihre Hilfe zu bitten. Diese sagten den Frauen: „Kommt am dritten Neumondtag wieder, mit allen Menschen eurer Gemeinschaft, und bringt alle einen Löffel, eine Suppenschale und einen Stein mit. Wir werden für euch eine Steinsuppe zubereiten, und ihr werdet eine Antwort erhalten wie es gut weitergehen kann.“
Und so geschah es. Unzählige kamen, Kinder, Alte, diese und jene. Ein großer Kessel stand auf dem Feuer und das Wasser kochte bereits. Die Schamaninnen nahmen alle Steine, die die Leute mitgebracht hatten und legte sie sorgsam in das kochende Wasser. Sie rührten in dem Topf und Stunden vergingen. Sie füllten die Teller und alle aßen von der Steinsuppe. Die Menschen sprachen miteinander, diskutierten, lachten, sie besprachen ihre Situation und tauschten ihre Ideen aus am Feuer. Sie sprachen über ihre Sorgen und Ängste, über die Möglichkeiten, die sie hatten, darüber, wer was beitragen konnte, damit sie überlebten. Sie erinnerten sich an ihr Wissen, ihr Können, ihr Lachen und ihr Lieben. So verging die Nacht.

Am Morgen fragten sie sich, was denn nun die Antwort auf ihre Situation, was die Lösung sei. Kaum gefragt, mussten sie lachen. „Wir sind es, unsere Ideen und Fähigkeiten.“ Sie sangen ein Lied, das davon erzählt, dass kein Mensch alleine ein Haus bauen könne, dass aber neun Menschen neun Häuser bauen, dass eins und eins nicht zwei, sondern elf sind.
„Ein Dorf, das Steinsuppen zubereiten kann, wird viele wundersame Dinge zustande bringen“, sagten die Schamaninnen.
Es war ein langer und harter Winter. Die Leute zogen teilweise zusammen, sie teilten ihre Vorräte, besprachen sich und sie kochten sich Steinsuppen, wenn sie Informationen brauchten. Mit der Suppe kam die Erinnerung daran, dass sie mächtig waren und einfallsreich. Sie holten sich die Urinformationen zurück – das Erdwissen, die alte Heilkraft. Sie verleibten sich das Wissen ums Leben ein, um die Gemeinschaft, um Vertrauen und Wandel. Es war eine Erinnersuppe. Äonen vergangener Winter zogen an ihnen vorbei, die Zyklen von Leben, Sterben und Wiedergeburt.
Als im Frühjahr der Schnee schmolz, waren alle erstaunt, wie lebendig ihr Dorf war. „Die Steinsuppe hat uns genährt und überleben lassen“, so erzählten sie. Eine Holzschale wurde gefüllt und herumgereicht und das Feuer wärmte, weil es eine tiefe Glut hatte. Die Steinsuppe hatte ihnen die Erinnerung an ihr Vermögen gebracht und dem Morgen eine lebensdienliche Form gegeben.
(Die Geschichte der Steinsuppe steht in meinem Buch „Am Feuer der Schamanin“.)