Nichts wissen und keine Antworten haben, das ist nachwievor der Zustand, den ich in diesen seltsamen Zeiten unserer Weltengemeinschaft erkunden darf in Bezug auf Wahrheit und die Woher-Wohin-Geschichten, auf das „was tun, was lassen, wie unterwegs sein“. Es ist ein Tanz zwischen irrlichternd und ganz still, tastend und behutsam, im Versuch Gleichgewicht zu halten. Der Boden, den ich unter mir spüre, ist weich, er gibt nach und manchmal denke ich, was, wenn es schon längst kein Boden mehr ist, sondern Messers Schneide. Ich höre viele unterschiedliche Geschichten und ergründe für mich die Wahrheit darin. Objektiv gibt es eh nicht. Nichts ist wirklich objektiv. Es fühlt sich etwas sicherer an, wenn ich meine, für mich eine Momentwahrheit gefunden zu haben. Im Hinterkopf sagt was allerdings immer, dass ich gut daran tue, bereit zu sein, sie jederzeit loszulassen und mein Konzept zu ändern. Das fühlt sich weniger angenehm an.
So versuche ich, anderen mit Respekt zu begegnen und ihre Wahrheiten stehen zu lassen. Wer weiß, am Schluß muss ich sie übermorgen doch zu meiner machen. Ach es ist eine ziemlich blöde Gesamtsituation.
Im Närrinbuch habe ich da was dazu geschrieben und es ist gerade recht aktuell in mir:
„Es gibt gerade ein Gleichgewichtsthema, in der es um den Tanz auf dem Hochseil geht, den Tanz auf der Haaresbreite oder auf Messers Schneide. Es ist der Tanz zwischen den Welten, den Polen, zwischen Tag und Nacht, zwischen unserer Freiheit und den Einschränkungen im sozialen Gefüge und noch viel viel mehr. Da gilt es, das Gleichgewicht zu halten und zwischen Ordnung und Chaos zu tanzen.
Dummerweise tut das niemand für uns. In schamanischen Gesellschaften gab es dafür die autorisierten heiligen Clownleute, die Heyokas, Närr*innen, Trickster, die Meister*innen der Unordnung. Sie waren zuständig dafür, zu schauen, dass die universellen, die sozialen, die individuellen Kräfte in Balance sind und im Zweifelsfall aufzuzeigen, wo es nicht so ist, weil vielleicht das System schon zu lange krankt und in Imbalance ist. Dann würden sie zeigen, welche Möglichkeiten die Gemeinschaft hat, wieder in Balance zu kommen. In Ermangelung dieser Zuständigen tragen wir heute selbst die Verantwortung dafür. Einerseits blöd und auch wieder gut. Weil wir dann den Seiltanz lernen. Das ist ja eine schwierige Kunst, dieses sichere Gehen zwischen Struktur und Chaos, Geordnetem und Ungeordnetem. Das Gleichgewicht ist fragil. Das ist eine heikle Angelegenheit. Es braucht gutes Schuhwerk und das Wissen, wo wir gerade sind. Dann ganz den Moment packen. Auch im Stolpern und Fallen könnte es weitergehen. Fallend bin ich Teil der ewigen Erneuerung von Welt und Kosmos.
Was für ein Tanz zwischen Ordnung und Chaos. Spüren, wie das Stabile wankt, ein Gegengewicht suchen. Ordnungen werden gestört, dem Chaos Raum geben, das Unstete erforschen, die 13 begrüßen, die die 12 erneuert und sehen, wie sich aus dem Chaos etwas Neues gebiert, wie es sich, vielleicht, wieder stabilisiert und ordnet. So lange, bis das Fremde wieder auftaucht und das Vertraute aufrüttelt, bis die Wildnis nach der Ordnung des Erdendorfes greift. Dann wird das Eindeutige widersprüchlich, dann zeigt das Weltgesetz seine Zerbrechlichkeit. Dann tanzen wir auf dem Hochseil über die Lücke, über den Spalt. Wenn wir hineinschauen, ist das Chaos in der Welt zu sehen. Es gehört zu uns. Gut, wenn wir das Balancieren zwischen den Welten oder über dem Spalt schon gelernt haben. („Chaos“, griech. „Spalt)
Ich bin nicht schwindelfrei, ich habe den Seiltanz nicht beigebracht bekommen. In meiner Schule gab es dafür keine Lehrkräfte. Workshops helfen nur bedingt weiter. Und, ich will auf dem Seil tanzen lernen, weil die kommenden Zeiten uns das zunehmend mehr abverlangen werden. Ich ziehe meine Tracht an, mein Stammesgewand, damit mich das Universum zuordnen kann und ich beim Absturz wieder in Alpinien lande. Dann balanciere ich, steigere die Höhen und den Schwierigkeitsgrad. Aus dem Chaosspalt heraus kann Gaia mir unter den Rock schauen. Das ist gut, vielleicht lacht sie.“